Montag, 16. August 2010

Zierfische

Vor genau 10 Jahren veröffentlichten Ghoti Hook aus Virginia auf Tooth & Nail die CD „Two Years to Never“. Ein merkwürdiges Album von einer Punk-Band mit einem merkwürdigen Namen. „Ghoti“ ist ein Kunstwort. Ein unbekannter Spaßvogel hat es sich ausgedacht, um daran die Unlogik der englischen Aussprache zu demonstrieren. Das „gh“ entnimmt er aus dem Wort „enough“, wo es bekanntlich [f] ausgesprochen wird. Das „o“ stammt aus „women“ und spricht sich folglich [ı]. Und das „ti“ kommt aus „nation“ und lautet [∫]. Zusammen ergibt sich das hübsche Wörtchen [fı∫] - „Fisch“. Ghoti Hook ist also ein Angelhaken mit Wortwitz.

Ghoti Hook ist aber auch eine christliche Band, und allgemein sind unter Christen Fische und Wortspiele sehr beliebt. Schon Jesus hat mit einem Augenzwinkern seine Jünger zu „Menschenfischern“ erklärt, ohne sie dazu allerdings mit einem entsprechenden Angelhaken auszustatten (Markusevangelium, Kapitel 1). Und in der Zeit der frühen Kirche entwickelt sich der Fisch zu einem geheimen Erkennungszeichen der christlichen Gemeinschaft. Denn das griechische Wort „ichthys“ (= Fisch) lässt sich auch als Abkürzung begreifen.

I – Iesous (= Jesus)
CH – Christos (= Christus)
TH – Theou (= Gottes)
Y – Hyios (= Sohn)
S – Soter (= Retter)

Der Fisch bildet insofern ein Glaubensbekenntnis: Jesus Christus ist Gottes Sohn und der Erlöser. Um einander zu signalisieren, woran sie glauben, kritzeln darum die Gläubigen im Altertum einen Fisch in den Sand. Oder sonstwohin.

Noch heute benutzen viele Christinnen und Christen den Fisch als Signal, indem sie ihn hinten auf ihr Auto kleben. Von einem geheimen Erkennungszeichen hat sich der Fisch dadurch zu einer Art Markenzeichen gewandelt – zum Zierfisch. Bei liberalen Christen schwimmt der Fisch nach links, bei evangelikalen nach rechts und bei charismatischen nach oben. Und bei denen, die von dieser Systematik nichts wissen, schwimmt er unter Umständen in die falsche Richtung. Der Fisch auf dem Auto funktioniert somit wie das Etikett auf einer Konservendose. Wenn du dir im Supermarkt eine Büchse Hering in Tomatensoße kaufst, gehst du ja auch davon aus, dass sich in dieser Dose nicht gerade Chili con Carne befindet. Doch so richtig sicher kannst du natürlich erst sein, sobald du die Dose geöffnet und dich überzeugt hast. Auf den Inhalt kommt es also an. Sowohl bei Autos mit Ichthys-Sticker als auch bei Musik-Konserven.

Das bringt uns endlich zurück zu der CD von Ghoti Hook. Denn die trägt eben nicht nur das Wortspiel auf dem Cover sondern hat auch inhaltlich etwas zu bieten. Musikalisch wie auch textlich ist das Album zurückhaltender als seine Vorgänger. Vom Sound her eher rockig und und vom Inhalt eher nachdenklich. Schon mit dem ersten Titel, „One Step Away“, geht es in die Vollen. Das Stück handelt davon, wie ein Sterbender sich von denjenigen verabschiedet, die er im Leben zurücklässt. Trauer, Zuneigung, Dankbarkeit und Verzweiflung verschmelzen miteinander. Wie auch andere Lyrics des gleichen Albums beeindruckt dieser Text mich dadurch, dass er ein wichtiges Thema der menschlichen Existenz anschneidet, ohne dabei voreilig platte Antworten hinauszuposaunen. Darum ist die Platte „Two Years to Never“ auch nach 10 Jahren immer noch hörenswert.

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