Mittwoch, 18. August 2010

Zuhause bei der Family

Ein Interview mit Emily Still Reminds

Erschöpft aber glücklich sitzen mir die vier Mitglieder von Emily Still Reminds aus Stuttgart gegenüber. Die Band hat soeben ein schweißtreibendes Konzert im Knüppelkeller des Freakstock-Festivals abgeliefert, so dass die Bühne bebte. Nun stellen die Jungs sich dem Interview. Derzeit schrauben sie übrigens auch noch an neuen Aufnahmen für eine CD, die im Herbst erscheinen soll.

Sagt mir doch bitte am Anfang nochmal, wer ihr seid.
Simon: Wir sind Emily Still Reminds. Ich bin der Simon, spiele Gitarre und bin der Lead-Sänger in der Band.
Arne: Ich bin der Arne, und ich spiele die zweite Gitarre und mache das Schöne draus aus unserer Musik.
Tobi: Ich bin der Tobi. Ich spiele Bass und mache Backing-Vocals.
Markus: Ich bin der Mann, den keiner sieht. Ich heiße Markus und spiele Schlagzeug.
Eure Musik bezeichnet ihr selbst als Screamo-Musik. Das hat natürlich etwas mit Geschmack zu tun und vielleicht auch mit dem, was ihr könnt. Wieso würdet ihr aber auch abgesehen davon sagen, dass Screamo genau die richtige Art von Musik für euch ist?
Simon: Was ich so schön finde an Screamo oder Emo-Core, ist dieses Mischmasch aus viel Geschrei, durch das Aggressionen rübergebracht werden können oder Wut, mit schönen Melodie-Teilen, durch die man auch wieder etwas Positives rüberbringt. Das Positive mit Aggression zu mischen, das ist für mich ein total spannendes Feld, um Musik zu machen. Da steckt ganz viel Energie drin – sei es auf der Bühne, oder auch für das Publikum.
Markus: Abgesehen davon, dass wir alle vier zu schlecht wären, um Metalcore zu machen...
Alle: hahaha...
Markus: ...ist es aber auch so, dass es mir so geht – und ich weiß das von den anderen auch – dass nur Geschrei einfach nicht passen würde zu dem, wie wir sind und was wir machen wollen. Bei nur Gebrüll würde uns was fehlen, wenn keine Melodie im Gesang ist. Wir lieben Bands, die im Gesang Shouts und Screams haben, dann aber auch einfach mal Melodie rüberbringen.
Wie hängt das mit euren Themen zusammen?
Simon: Unser Songwriting ist, erstmal Musik zu machen. Wir schreiben häufig die Lieder zuerst ohne einen Text. Für die neue Platte haben wir einfach erstmal Gitarre und Bass gecheckt, und dann das Schlagzeug dazu. Was aber auch auf der neuen Platte, die bald herauskommt, eine Rolle spielt, ist das Sozialkritische: Auch mal wütend zu sein über das, was in der Gesellschaft passiert, dann aber nicht bloß anti zu sein, sondern auch mal einen Weg oder ein Ziel zu haben, wie es anders sein könnte.
An welchen Punkten seid ihr gesellschaftlich sauer?
Markus: Am Anfang, als wir die Band gegründet haben, haben wir uns gesagt, dass wir eigentlich versuchen wollten, dieses ganze Politische herauszulassen, weil wir am Anfang Angst hatten, gleich in die typische Punk-Schiene zu kommen, so: „der Staat ist scheiße und alles läuft verkehrt“. Dann ist man gleich in einer Schiene drin. Wir wollten erstmal, was diese Themen betrifft, neutral sein. Mittlerweile haben wir festgestellt, dass das eigentlich gar nicht geht, weil unsere Musik den Platz dafür bietet, und wir auch den Auftrag dazu haben, auf Dinge aufmerksam zu machen, die wir als verkehrt empfinden. Es gibt einfach Sachen, die unmenschlich sind, und wir sind nicht in der Lage, das aus unseren Songs herauszunehmen.
Simon: Das steckt ja auch in unserem Namen: Emily Still Reminds – An etwas erinnern. Vielleicht an etwas, das war, oder das besser sein könnte.
Ich würde doch gerne noch einmal nachbohren. Habt ihr ein Lieblingsthema, von dem ihr sagt: da ist konkret Verbesserungsbedarf vorhanden?
Simon: Wie man miteinander umgeht, ist uns wichtig. Und um nicht zu arg politisch zu werden: In unseren Texten geht es viel um Licht und um positive Dinge, aber wir reden nie von Gott. Da ist immer irgendwie ein Weg, den es gibt, aber es kommt wenig Gott vor, außer in einem unserer ganz neuen Songs.
Markus: „One Human Race“ ist einer unserer Songs. Oft geht es uns einfach um Menschlichkeit. Wir spielen viel auf nicht-christlichen Konzerten, waren jetzt aber an dem Punkt, dass wir gesagt haben: Wir würden gerne in die christliche Schiene kommen, und heute war das einer unserer besten Gigs, weil das Umfeld einfach stimmt. Ich habe heute für mich ganz klar gesehen: Da ist ein Unterschied, ob du irgendwo in einem abgefuckten Club spielst oder auf dem Freakstock. Das fängt damit an, dass du deinen Geldbeutel hier offen rumliegen lassen kannst. Die Liebe und der Respekt, der uns hier entgegen gebracht wird, ist nochmal ganz anders, als wenn wir draußen spielen. Das Thema Menschlichkeit bedeutet für uns: das, was wir hier erleben, würden wir gerne überall spüren. Einander näher zu kommen; man kann die Kinder frei rennen lassen; alles ist easy. Das würden wir uns noch viel öfter wünschen.
Arne: Wir haben auch noch einen Song, in dem es darum geht, nach Hause zu kommen. Uns ist es wichtig, in den 30 Minuten, die wir oft auf dem Konzert haben, den Leuten für den Moment ein Stück Zuhause zu geben. Es ist einfach wichtig, so ein Zuhause zu haben, einen Ort zu haben, an dem man sich wohl fühlt. Das ist für uns auch die Basis: dass wir so ein gemeinsames Zuhause haben.
Simon: Die bekannten Bands machen oft so großes Gelaber, wenn sie wahnsinnig politisch und weltverändernd sind. Darum geht es uns nicht. Uns geht es um die Frage, wie wir als Band zusammen eine Familie sein können. Wir haben diesen Spruch: „One Family – we're Emily“. Das wollen wir untereinander sein und es dann auch nach außen tragen. Das ist zwar schon mit vier Leuten schwer, und noch viel schwerer ist es für die gesamte Gesellschaft. Aber es ist unser Ziel, als Freunde eine Band zu sein, und eine kleine Gemeinschaft zu bilden, in der vielleicht Frieden herrschen kann.
Tobi: Wir wollen nach außen tragen, dass man ein gutes Miteinander haben kann. Es geht nicht um Gewalt oder Stolz oder darum, etwas Besonderes zu sein, sondern uns geht es um das Miteinander. Zwar gibt es bei uns natürlich auch im Proberaum viel Diskussionsbedarf, aber was wir nach außen tragen wollen, ist eigentlich Nächstenliebe.
Markus: Das wollte ich auch sagen. Unser Missionsauftrag besteht nicht darin, dass wir von der Bühne predigen. Darum geht es uns nicht. Wir haben lange darüber nachgedacht, wie man Gott verwirklichen kann. Damit haben wir tagtäglich Probleme, aber wir wollen als Band nicht einfach für uns sein sondern Gott mit einbauen. Was uns wirklich wichtig ist, ist, dass wir als Band vor Ort beim Konzert auf der Bühne anders wirken als andere Bands. Die Leute sollen merken, dass wir anders sind: Wir helfen uns gegenseitig beim Aufbauen und Abbauen, und wir helfen auch anderen Bands. Aber wir wollen nicht strikt missionieren und alles andere verdammen.
Bevor wir den Topf gleich zumachen: Gibt es noch eine andere Frage, die ich euch hätte stellen sollen?
Markus: Ich würde gerne noch sagen, dass es uns schwer fällt, in den christlichen Bereich hinein zu kommen. Uns gibt es ja noch nicht lange. Und wir haben gesagt: Wir spielen gerne in der Welt und wollen da auch sein. Fundamentalere Christen sehen das als großes Problem an, dass wir da dann nicht unter Gotteskindern sind. Aber wir haben das Gefühl, dass wir da auch gebraucht werden.
Simon: Und da kommen wir auch her.
Markus: Wir hatten aber auch den Punkt, wo wir gesagt haben: Wir wollen auch noch mehr in der christlichen Szene rocken. Dabei ging es nicht nur um Geld...
Tobi: Ja klar! Nicht nur! Hahaha.
Markus: Vergleich doch mal die Gagen! Die Bands spielen hier auf unterschiedlichen Ebenen. Wir haben hier nichts bekommen. Uns fällt aber auf, dass es trotzdem superschwierig ist, selbst bei den Freaks, hereinzukommen. Und auch bei anderen Konzerten, da heißt es immer wieder: Ihr müsst erst einen bekannten Namen haben, damit ihr reinkommt. Das war heute unser größtes und bestes Konzert im christlichen Bereich, und wir haben das heute alle genossen. Aber wir fragen uns, wieso Bands aus Übersee eingeflogen werden müssen, wo es doch auch vor der Haustür Bands gibt, die gute Musik machen.
Sind das Vorbehalte, oder werdet ihr nur einfach nicht wahrgenommen?
Simon: Ab heute werden wir wahrgenommen.
Tobi: Nö, klar, das sind ganz klar Vorbehalte. Die Veranstalter im christlichen Bereich wollen Bands, die Leute ziehen und bekannt sind. Das ist nicht anders als im säkularen Bereich. Da geht es nicht mehr um die Musik sondern darum, ob die Leute kommen. Das ist eigentlich hauptsächlich Marketing.
Markus: Wir sind froh mit dem, was wir spielen. Aber wir hätten uns den Weg auf christliche Konzerte viel leichter vorgestellt, als es sich in diesem Jahr herausgestellt hat. Wir haben uns booking-mäßig den Arsch aufgerissen, um auf christlichen Konzerten zu spielen. Wir haben sogar so einen Schwachsinn gemacht, auf Contests zu spielen, damit wir auf ein Konzert kommen. Das war viel Nerventerror, und am Ende ist doch nichts herausgekommen. Heute sagen wir: Wir sind einfach froh, dass wir heute hier sein durften.
Tobi: Wir sind zufrieden über das geile Konzert, das wir heute gehabt haben.
Das ist doch ein schönes Schluss-Statement.

2 Kommentare:

  1. danke nils für das liebe und tolle interview...!!!

    liebe grüße

    emily

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  2. Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite. Rockt weiter so & bis bald.

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