Dienstag, 14. September 2010

Suchen oder Gefunden-Werden

Vor einem guten Jahr erschien das neueste Rancid-Album mit dem Titel „Let the Dominoes Fall“ (Hellcat 2009). Mit ihrer gewohnt soliden und melodiösen Musik macht die Band hier ordentlich Werbung für den Punk. Diese Werbung kommt auch in den Texten vor, denn das Lied „You Want It, You Got It“ gipfelt in der einigermaßen erstaunlichen Aussage:
I made a decision:
Punk Rock is my religion.
Normalerweise sind Punk-Bands ja nicht sonderlich gut auf Religion zu sprechen. Zu groß ist ihre Skepsis vor der Kirche als macht- und geldgeiler Institution. Trotzdem braucht der Mensch irgend etwas, was dem Leben Sinn verleiht. Das wissen auch die Jungs von Rancid. Sie haben gesucht und gefunden („we got it“). Nicht der Glaube an irgendeinen Gott sondern die Musik gibt ihrem Leben Halt. Und indem sie hier verkünden: „Der Sinn unseres Lebens kommt aus dem Punk“, meinen sie gleichzeitig auch: „Herkömmliche Religionen benötigen wir überhaupt erst gar nicht.“ Wenn allerdings Punk Rock eine sinnstiftende Glaubensrichtung darstellt, dann ist diese Art von Religion für Rancid ganz okay.

Rancid verhalten sich also dem Prinzip Religion gegenüber mehr oder weniger aufgeschlossen. Zumindest für die Sinnsuche haben sie etwas übrig. Da erstaunt es umso mehr, dass Doktor Karl Barth, einer der berühmtesten Theologen des 20. Jahrhunderts, Religion eher bescheuert findet. Karl Barth ist zwar Christ, aber an der Religion lässt er kein gutes Haar. Denn seiner Ansicht nach können die Menschen sich gar nicht ausreichend abmühen, um sich krampfhaft selbst einen Sinn für ihr Leben zu suchen. Sie müssen es auch überhaupt nicht, denn Gott schenkt es ihnen. Die wichtigsten Dinge im Leben gibt es kostenlos, und dazu gehört auch der Sinn. Den muss sich nach Barths Meinung niemand selbst erarbeiten, sondern Gott verteilt ihn großzügig. Jede menschliche Anstrengung muss hier scheitern. Und wer von Gott nichts geschenkt haben will, verpasst nachher noch das Beste. Unter „Religion“ versteht Barth diesen menschlichen Versuch, der sich selbst den Sinn verdienen will und Gottes Geschenk dafür in den Wind schießt. Darum formuliert Barth plakativ: „Religion ist Unglaube.“

Es geht nicht darum, zu suchen, sondern darum, sich finden zu lassen. Die legendäre Band Christcore aus Celle sang ganz ähnlich „Was ist schon Religion?“ („Dem Kampfe geweiht“, Dreckspatzen Records 2005). Mit Karl Barth hätten sich Christcore sicherlich gut verstanden. Denn ihr Lied heißt „Religion – nein danke!“ Ein bisschen komme ich mir vor wie in einer verkehrten Welt: Die linken Zecken von Rancid bekennen sich zu ihrer Religion, und die gläubigen Christen geben sich skeptisch. Diese aufschlussreichen Zusammenhänge habe ich übrigens nicht gesucht und dennoch gefunden.

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