Freitag, 4. Juni 2010

Wer darf gekreuzigt werden?

Kürzlich fiel mir eine EP der Frankfurter Band ACK (Allgemeines Chaos Kommando) in die Finger. Diese Platte mit dem Titel „Das letzte Wort“ von 1999 beherbergt neben einigen merkwürdigen Cover-Fassungen deutscher Schlager auch eine ganz coole Version des Dead-Kennedys-Klassikers „Nazi Punks Fuck Off“. Was mich im Moment aber noch stärker interessiert als die Musik ist die Verpackung. Denn die Hülle der EP zeigt einen gekreuzigten Punker. Handelt es sich um eines der Band-Mitglieder? Vermutlich schon. Ich kann es nicht genau erkennen. Was will uns dieses Artwork sagen? Die Chaoten aus Frankfurt als Erlöser-Figuren, die den verlorenen Seelen durch die Frohe Botschaft des Punk das Heil bringen? Oder sollen hier einfach nur die frommen Schäfchen der christlichen Kirche geärgert werden, wenn ACK den herkömmlichen Messias gegen einen anderen ersetzen?

Kreuze polarisieren. Denn überhaupt reagiert man in Deutschland Mitte der 90er Jahre ja einigermaßen allergisch, wo öffentlich Kreuze ins Spiel gebracht werden. Im Jahr 1995 spricht das Bundes-Verfassungsgericht sein Kruzifix-Urteil: Seither ist es sozusagen verboten, Schulkinder an öffentlichen Schulen mit der permanenten Anwesenheit gekreuzigter Christusse religiös zu belästigen. Und auch die schwäbische Punk-Band WIZO bekommt gerichtlichen Ärger. Denn im Booklet zur 1994 veröffentlichten CD „Uuaarrgh!“ findet sich eine Comic-Zeichnung von einem Schweinchen, das an ein Kreuz genagelt wurde. Das bringt einen katholischen Geistlichen auf die Palme. Er veranlasst eine Unterschriften-Sammlung und unternimmt allerlei rechtliche Schritte. Deswegen gibt es das besagte Booklet heute nur noch in einer zensierten Fassung. Klar kann das Bild von einem Schwein am Kreuz die religiösen Gefühle derer verletzen, die davon überzeugt sind, dass nur Jesus ans Kreuz gehört. Zumindest dann, wenn sie interpretieren: „Euer Gott ist ein Ferkel.“ Aber dürfen Schweine deswegen nun gar nicht gekreuzigt werden? Nichtmal im Comic? Eigentlich war das Schweinchen im WIZO-Booklet sogar ganz niedlich. Außerdem war es die Äußerung einer Meinung und als solche prinzipiell sehr begrüßenswert. Zumindest kann mich der Gedanke nicht überzeugen, dass die Gläubigen dafür zuständig wären, die Ehre ihres Gottes in öffentlichen Auseinandersetzungen zu verteidigen. Denn ein Gott, der wirklich einer ist, müsste das doch wohl selbst hinkriegen.

Ärger mit dem Kreuz hat es auch schon früher gegeben. Der Apostel Paulus müht sich mit dem Thema ab (1. Korintherbrief, Kapitel 1). Für Paulus ist Jesus Gottes Sohn. Aber Jesus ist auch gekreuzigt worden. Zum Tod am Kreuz verurteilen die römischen Behörden politische Aufrührer. Der Tod am Kreuz ist darum der Tod eines Losers. So stirbt jemand, der aufmucken wollte und es nicht geschafft hat. Von diesem gekreuzigten Jesus behauptet Paulus nun, er sei Gottes Sohn. Gerade der Tod am Kreuz sei das Besondere an ihm. Manche lachen ihn dafür aus, andere halten ihn einfach nur für bescheuert, und wieder andere ärgern sich über ihn. Paulus sagt: Über das Kreuz muss man sich einfach ärgern. Paulus schreibt im Original altgriechisch, und auf altgriechisch benutzt er für „Ärgernis“ das Wort „skandalon“. Das Kreuz ist ein Skandal. Damals wie heute. Im Sinne des Paulus sollten sich die Gläubigen unserer Zeit darum vielleicht etwas mehr die provokative Kraft des Kreuzes Jesu Christi zunutze machen, anstatt sich ständig nur durch irgendwelche anderen Kreuze provozieren zu lassen.

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